STRANDGUT - August 2017
(Winnie Geipert)
Die Petroleuse am Küchenherd
Comoedia Mundi verschiebt in "Babettes Fest" geglückt die Akzente

Die Schwestern Martine und Filippa tragen zwar die Vornamen der Reformatoren Luther und Melanchthon. Doch es braucht ein wenig, bis man im Theaterzelt der Comoedia Mundi am Mainufer begreift, wie sehr das Leben der beiden Protagonistinnen aus »Babettes Fest« von den Doktrinen des protestantischen Glaubens bestimmt ist.

Das auf einer Novelle von Tania Blixen und deren oskarprämierten Verfilmung beruhende Stück erzählt, wie eine flüchtige Pariser Kommunardin Asyl in einem verwaisten norwegischen Pfarrhaus findet und dort die streng pietistische Gemeinde ihrer Retter mit ihrer Kochkunst bekehrt zu einer daseinsfreudigeren Weltsicht - für einen ersten Abend. In unserer Vorschau haben wir das einen "Crash der Kulturen"genannt. Fabian Schwarz, der Chef des fränkischen Wandertheaters, das turnusmäßig sein Zelt im Sommer für vier Wochen in Frankfurt aufschlägt, betont in seiner Bühnenfassung den im Film ziemlich vernachlässigten Aspekt der Flucht Babettes und belässt es nicht wie dieser bei dem bloß namentlichen Hinweis auf einen General Gallifet - einer der Schlächter bei der Niederschlagung der Commune 1871, wie man nachlesen kann. Das Hilfsgesuch, das Martine und Filippa bei der Entkräfteten finden, weist sie nun als "Petroleuse" im Barrikadenkampf aus, was in unseren Ohren so klingt wie eine Referenz vom Schwarzen Block aus Hamburg. Auch in der zögerlichen Aufnahme, die man der Zelt-Babette als Fremde gewährt, spiegeln sich die Ressentiments der aktuellen Flüchtlingsdiskussion.

Kein bisschen von gestern also, was da unter der Regie von Maximilian Berger mit einem Walzer in A-moll von Edvard Grieg anhebt und von Szene zu Szene mit viel Witz, einigerTechnik (Filippo de Capitani) und großer Spiellust dem tiefheiteren Höhepunkt zustrebt, einem Abendmahl de luxe. ln fein ausgeleuchteten Traumrückblenden werden die gescheiterten Liebeleien der beiden Schwestern in Jugendjahren als vergebene Lebenschancen eingestreut: die im gelungenen Verführungsduett aus "Don Giovanni" ihr abruptes Ende findende Begegnungvon Martine mit dem Opernstar Papin und die von Filippa mit dem schneidigen Oberst Löwenhjelm. Aber auch das Festessen, das Babette aus Dank ausrichtet, scheint nicht von dieser Weit: effektvoll mit akustischem Schall unterlegt, wird es von Gang zu Gang entrückter und unwirklicher.

Die mit nur vier Schauspielern bestrittene Aufführung stellt mit Christine Woike als jederzeit strenge Martine und Katja Schanz als weichherzige Filippa ein bestechend frei agierendes Schwesternpaar in ihr Zentrum. Loes Snijders ist als Titelheldin, weil die nun mal häufig in die Küche muss, notgedrungen nicht so präsent, demonstriert aber in vielen, vielen Subrollen eindrucksvoll die enorme Bandbreite ihrer auch gesanglichen Talente, gekrönt von ihrem mit Grandezza gespielten Monsieur Papin. Mit großer Routine wechselt auch Fabian Schwarz in diesem Kostümfest mit seinen Figuren Mimik, Gesten und Erscheinen.

Gut zweieinhalb kurzweilige Stunden zum Genießen.

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