Fränkische Landeszeitung
(Harald Munzinger)
Verlierer sind immer die Kleinen
„Bettleroper” von Comoedia Mundi mit aktueller Gesellschaftskritik<br />Vom Tage- zum Eurolöhner - Leidenschaft in allen Facetten „ausgespielt”

NEUSTADT (zi) - Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Eine im Volksmund verankerte, offenbar Jahrhunderte alte Erkenntnis, denn schon John Gay hatte 1728 in seiner scharfen Politsatire „The Beggar's Opera” den Deal von Gesetz und Gaunern mit galligem Zynismus beschrieben, das „ Bauernopfer” am Galgen enden lassen. Heute hält das Kabarett den Spiegel jener Gesellschaft vor,  in der Betrugsdelikte im großem Stil den „Kavalier” nicht etwa um seine Millionenabfindung bringen. Eine „unterschlagene” Brotzeit hingegen kann in das Hartz-IV-Elend stürzen; schon dieser Begriff ein bitterer Ausdruck pervertierter Normen.

Hat sich also nichts geändert im Wandel der Zeit vom Tage- zum Ein-Euro-Löhner? Die Antwort gibt die Inszenierung „Eine Bettleroper” des Theaters „Comoedia Mundi”. Besser gesagt, sie überlässt das Urteil in der „Denkpause” dem Publikum, „ob mit Schurken Staat zu machen ist”. Womit natürlich die skurrilen Protagonisten gemeint waren, auf die John Gay das „Spott-Licht” gerückt hatte, die Parallelität zu jenen der Gegenwart rein zufällig und ungewollt wäre. Oder doch nicht? Es ist das Geflecht von einst und jetzt, das die zeitlose Aktualität des Stoffes vermittelt; im Zwielicht der Moralvorstellungen.
Gay (und später in seiner aktualisierten Interpretation Brecht) legen den von Geld und Macht verdorbenen Charakter offen, enthüllen die Doppelmoral, was Regisseur Herbert Fischer in der Inszenierung  „Eine  Bettleroper” für „Comoedia Mundi” zwar im originalen Milieu ansiedelt, zugleich aber erkennen lässt, dass im Bettlerkönig die Manager von heute stecken, sich für den Polizeichef gut eine Parallele denken, das Rotlicht sich auch als roter Faden vom gestern zum heute ausmachen lassen kann.
Die Geschichte vom König der Bettler, dem Gauner im Frack des Gentleman und Herzensbrecher, des steten Trachtens nach dem eigenen Vorteil im selbst gefertigten Rechtssystem ist x-fach inszeniert, häufiger allerdings in Brechts „Dreigroschenoper”. 
„Comoedia Mundi” gelingt in der Jubiläumsproduktion (2008 zum 25-jährigen Bestehen der mit dem Wolfram-von-Eschenbach-Förderpreis ausgezeichneten Theatergruppe) eine subtile Mischung aus Original, einem „Hauch Brecht” und ganz eigener Prägung. Schließlich bietet das organisierte Verbrechen in London um 1728 ebenso wie die Weimarer Republik und die Gegenwart gleichermaßen Stoff für kritische Reflektionen gesellschaftlicher Zustände, für politisch engagiertes Theater.
Dass es neben den Schlaglichtern auf verbitterte Figuren der „Schattengesellschaft” von Musik durchdrungen seinen besondere Ausdruckskraft erfährt, lässt die „Bettleroper” als perfekten Zuschnitt für „Comoedia Mundi” erscheinen, einem Ensemble aus musikalisch versierten Schauspielern, die ihre Leidenschaft in allen Facetten auf die Bühne bringen, überzeugend in scheinbar jede Rolle schlüpfen können. Also vom König der Diebe in die Hure und in den Bäcker, von der betrogenen Ehefrau in die Bettlerin, Hure und den Bänker. Ein Mann als Prostituierte, eine Frau als durchtriebener Gauner - kein Problem für Loes Snijders (faszinierend in Mimik und Gestik), Tajana Prka, Katrin Filzen, Fabio Esposito und Fabian Schwarz.
Das Ensemble versteht es, die zynischen, zerbrochenen Figuren und ihre Gefühle scharfkantig zu charakterisieren, die Kriminalität als Teil der ehrenwerten Gesellschaft in einem Zerrspiegel mit der unverrückbaren Konstante in allen Epochen: Der Keine ist immer der Verlierer. Emotional verstärkt wird die Handlung durch die musikalische Dramatik, versiert umgesetzt von Multitalent Robert Stephan von der monotonen Begleitung der Moritat über das Chanson bis zum mitreißenden Rap.
Dass ein „kleines Theater” ein großer Gewinn in einer zusehends verflachenden Kulturszene der Spaßgesellschaft sein kann, zeigte auf beeindruckende Weise das Gastspiel mit einer ausgezeichneten Vorstellung.


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