Bayerische Staatszeitung - 28.07.2000
(Elisabeth Zeitler)
Scheherazades Erben
Das Zelttheater "Comoedia Mundi"

Bei "Comoedia Mundi" genießen die Zuschauer Privilegien wie einst der Sultan von Samarkand, den Scheherazade dank ihrer Fabulierkunst betörte. Die entfaltet ihre Magie auch in der Inszenierung von Ulrike Möckel. Allerdings ist die Phantasie der Berliner Regisseurin am Märchenbuch-Horizont noch lange nicht zu Ende. So verbindet sie die gute alte Tradition des Geschichtenerzählens mit ironischen Anspielungen auf die abendländische Gegenwart, etwa durch einen parodistischen Börsianer-Rap, in dem auch Handy-Fetischisten auf die Schippe genommen werden.

Auf dem Programm steht nicht 1001, sondern "Die 270. Nacht", eine Ali Baba-Revue (bis 6.8. auf der Wöhrder Wiese, Nürnberg). Der Palast des mächtigen Herrschers ist ein gestreiftes Theaterzelt, sein Gemach die leere Bühne, auf der nur zwei Wesen in Pumphosen-Overalls auszumachen sind. Kulissenschieber? Nicht nötig, denn es gibt keinen Morgenland-Klischeekosmos aus Pappe. Die nur auf den ersten Blick schlichten Outfits, die sich mit einem Handgriff zu verschiedensten orientalischen Kostümen umfunktionieren lassen, sollen sich noch als überaus nützlich erweisen, denn zwei Akteure spielen als Scheherazade-Vertreter sämtliche Rollen, die in "Ali Baba und die vierzig Räuber" vorkommen. Der Kaufmann Kasim, dem seine Habgier zum Verhängnis wird, ist im nächsten Moment die clevere Sklavin Mardschana. Aus drei Eseln wird ein tapferes Schneiderlein... Eine Fata Morgana? Unglaubliches Verwandlungstalent! Damit ist das Repertoire von Loes Snijders und Moise Schmidt noch nicht erschöpft. Die beiden ziehen das Publikum auch als Erzähler in ihren Bann, tanzen, singen und begleiten sich dabei gelegentlich sogar noch auf verschiedenen Instrumenten. Beim Zaubern akustischer Stimmungsbilder bekommen sie Verstärkung durch die Musiker Manu Büttner (Oboe, Percussion) und Jürgen Mayer (E-Piano, Klarinette, Gitarre), die mühelos ein kleines Orchester ersetzen.

Neben umfassendem künstlerischen Können und Vielseitigkeit gehört Idealismus zum Erfolgsgeheimnis -, beziehungsweise Überlebenselixier - von "Comoedia Mundi". Die Ensemblemitglieder der 1983 gegründeten freien Zelttheater-Truppe brillieren nicht nur auf der Bühne, sondern sind sich nicht zu schade, "profane" Aufgaben zu übernehmen, etwa vor ihrem Auftritt Eintrittskarten zu verkaufen. Trotz Förderung durch den Fonds Darstellender Künste und das bayerische Kultusministerium kann das Bayernweit einzige Tourneetheater mit eigener mobiler Spielstätte vom Goldrausch à la Ali Baba nur träumen - zumal Jahrmarkt-Romantik saisonabhängig ist. Während in der kalten Jahreszeit das Zelt und die elf Zirkuswagons im mittelfränkischen Trautskirchen, dem Stammquartier, untergebracht werden, tingeln die Künstler mit Solo- oder Duo-Produktionen durch die Lande, um finanziell halbwegs überwintern zu können.

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