Frankfurter Allgemeine Zeitung - 29.07.2006
Jürgen Richter
Tragischer Kern der Satire
„Dulcinea" von Ferruccio Cainero im Zelttheater Comoedia Mundi

Das Mädchen vom Land, das im Gasthaus den Fremden die Krüge füllt, trägt eine schwarze Robe mit ausladenden Volants. Sie fühlt sich zu Höherem berufen und unterstreicht das auch mit den zum Himmel rudernden Armen, während der Reisende im roten Samtwams der Vorstellung folgt. Markante Sprüche wechseln mit sardonischem Gelächter, wenn die Verkünderin auf dem Tisch die Vernichtung des Bösen fordert, derweil der Musiker im Winkel zwischen Öl- und Weinkrügen mit Gitarre und Trommel dissonante Gemütslagen intoniert. Die Abenteuer und Ansichten des Don Quichote sind es, die die Verkünderin treibt. Und wenn sie sich auch auf die Erzählungen seines Knappen Sancho Pansa stützt, so ist sie bei der Wiedergabe der Rauferei mit den Pferdehändlern oder des Überfalls in der Schenke so engagiert, als sei sie selbst mit dabeigewesen.
In der Inszenierung von „Dulcinea" vom Zelttheater Comoedia Mundi, für die der Schweizer Autor und Regisseur Ferruccio Cainero Episoden aus Cervantes Roman um die Verehrung für die imaginäre Dulcinea de Toboso gruppiert hat, gewinnt der Ritter von der traurigen Gestalt Kontur durch Zeugnisse aus zweiter oder dritter Hand. Sein zum Irrsinn entgleister Idealismus wird zurechtgerückt durch die pragmatische Wahrnehmung des vermeintlich dummen Dieners.
Aber was hat es auf sich mit der Schönen in der Schenke? Sie wahrt nicht nur das Buch mit dem einst als Satire auf die in Spanien gepflegte Ritterromantik geschriebenen Roman in Griffweite auf, sie weiß die meisten Abenteuer auch auswendig, obwohl sie gar nicht lesen kann. Und sie begreift die Naivität des Helden als moralische Überlegenheit in einer auf Vorteil und Verführung konzentrierten Gesellschaft. Wer bei ihr den Vorzug bekommen will, sollte entsprechende Qualitäten beweisen - der Galan am Gasttisch, der sich nicht nur für ihren Weinkrug interessiert, erscheint zunächst als unwürdig und wird bei jeder Zudringlichkeit auf die Bretter geschickt.
Im Zelttheater am Mainufer ist die Bühne mit wenig Aufwand in ein pittoreskes Genrebild verwandelt worden, und mit einem bisweilen bis auf den Kerzenschimmer reduzierten Lichteinsatz werden die malerischen Qualitäten wirkungsvoll betont. Loes Snijders in der Titelrolle unterstreicht pantomimisch ihre Erzählung, aber auch die eigenen Emotionen und spielt einige Szenen mit improvisierten Handpuppen auf dem Tresen ein. Fabian Schwarz beteiligt sich mit ökonomischem, aber ausdrucksstarkem Spiel erst in der Zuschauerrolle, wechselt zwischen Neugier und Begierde und bleibt aus berechnender Distanz immer Herr der Lage.
Schon als szenische Lesung ist das Stück näher am tragischen Kern der Satire als mancher mit vielen Effekten gespielte „Quichote". Wenn sich zum Schluss die unerfüllten Träume der verkannten Prinzessin dem literarischen Vorbild annähern, wenn die Zitate aus dem Buch fließend ins gelebte Drama übergehen, wenn sich das verschmähte Mädchen als Pendant zum verlachten Ritter zu erkennen gibt, dann ist in dem bekannten Buch eine neue und durchaus fesselnde Seite aufgeschlagen.    

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