Realität ist immer nur Schein und somit das, was man daraus macht. Dementsprechend hält sich die Bäuerin Aldonza (Loes Snijders) nicht nur für Don Quijotes virtuelle Geliebte Dulcinea, sie ist Dulcinea. Als solche wiederum verflicht sie durch emphatische Erzählungen über ihren Helden das Publikum mit dem Wechselspiel aus Sein und Nicht-Sein, führt an den Grund des Theaters: Wer sich darauf einlässt, verlässt im Moment der Rezeption selbst den Boden der Realität oder dessen, was er dafür hält. Das mobile Theater „Comoedia Mundi“ reflektiert mit seiner Produktion „Dulcinea“ auch die eigene Existenz, deren (Über-)Lebenselixiere Hingabe und Bedingungslosigkeit heißen. Seit fast 25 Jahren schlägt Fabian Schwarz sein Zelt in Frankfurt auf, eine Kulturinsel am Sachsenhäuser Mainufer. „Der Wahnsinn und die vielen Parallelen“ faszinieren den Schauspieler am armen Ritter aus der Mancha. Angefangen mit aufwendigen Produktionen und einem großen Ensemble, tingelt Schwarz mittlerweile in kleiner Besetzung, immer aber mit seiner multitalentierten Gattin Loes Snijders an der Seite. Die Verschlankung hat ihren Grund: Denn ähnlich dem visionären Don Quijote bewegt sich die „Comoedia Mundi“ im Spannungsfeld von Idealismus und Wirklichkeit, meist der finanziellen. Dieser verdankt die „Comoedia“ jedoch andererseits das, was heute die Stärke des Theaters ausmacht: Reduktion. Die Stücke leben vom Agieren der Schauspieler, der Musik, dem Licht. Jene konzentrierte Form des Spiels bildet die Klammer für die Stücke des Festivals „Tangente“, welches das Kreativpaar Schwarz-Snijders bereits zum siebten Mal durchführt. Daneben ist es ein Festival der Beziehungen, der Berührungspunkte: „Es gibt keine thematischen Gemeinsamkeiten, jene beruhen vor allem auf menschlichen Strukturen. Hier treten Darsteller auf, die mit uns in irgendeiner Weise verbunden sind“, erläutert Fabian Schwarz das Konzept. So wird beispielsweise „Dulcinea“-Regisseur und Preisträger des „Golden Ear of Graz“ Ferruccio Cainero mit seinem Solostück auftreten. Er sorgt jedoch zugleich für die Ausnahme, die die Regel bestätigt: Wie der Titel „Windmühlen“ ahnen lässt, gibt es stofflich dann doch eine Schnittmenge. Daneben stehen Konzerte, Kinderstücke oder Chansonabende auf dem Spielplan. Doch nicht nur der Geist wird bestens genährt: Vor dem Caféwagen aus den 50er-Jahren erstreckt sich Frankfurts wohl schönster Uferbiergarten. Beim Blick auf das flirrende, lichtspielende Wasser wähnt man schließlich das von Dulcinea herbeigesehnte Goldene Zeitalter tatsächlich ganz nah. Bis sich die Realität wieder ins Bewusstsein schleicht. Oder auch nicht.