STRANDGUT - 08. 2019
(Winnie Geipert)
Wenn du Gott sein willst, mach mir ein Kind!
Comoedia Mundi zeigt Mary Shelleys »Frankenstein«

Ein gutes Dutzend dicker weißer Taue baumelt von der Decke des blauen Theaterzelts der Comoedia Mundi herab mittig über der Bühne. Je nachdem, wie man sie knüpft, bündelt und beleuchtet stellen sie ein häusliches Dach, einen Baum zum Anlehnen oder eine Lichtung dar. Oder auch die Wiege, in der Viktor Frankensteins künstliches Geschöpf bei seiner Menschwerdung den Mull sprengt, der ihn wie eine Larve umhüllt. Freilich kommt dieses Wesen nicht als Schmetterling zur Welt, aber mitnichten ist es ein Monster, das da von Stromstößen angetrieben das Licht der Comoedia Mundi erblickt. Loes Snijders Inszenierung von Mary Shelleys Roman »Frankenstein« führt uns ein kindliches Wesen vor, das nichts als Liebe und  Zuneigung sucht. Fabian Schwarz, der Gründer des Wandertheaters,  hat nicht nur die Bühne entwickelt, sondern auch den Roman für vier Darsteller dramatisiert. Seine Fassung folgt nicht immer dem Original, bezieht aber Mary Shelley mit ein, die sich die Geschichte im Jahre 1816, da war sie 19, während einer Reise in der Genfer Villa Diodeti ausgedacht hat und damit schlagartig bekannt wurde. Als eigentlicher Tempomacher der Inszenierung aber erweist sich der von Jazz-Elementen durchsetzte Sound von Robert Stephan.

Im Zelt lässt sich die von Iken Marei Sturm zwischen Göre und Girlie angesiedelte Dichterin von einem gewaltigen Alpengewitter inspirieren, das dann für den Chok sorgt, der die Kreatur des Wissenschaftlers Frankenstein (Fabian Schwarz) in die Gänge bringt. »Die Forschung muss bereit sein, Grenzen zu überwinden«, formuliert der Nerd das zeitlose Credo, dem das Thema seine ungebrochene Aktualität verdankt – und flieht dann dennoch erschreckt vor dem Ergebnis. Seine Schöpfung aber, durchgängig von Loes Snijders verkörpert, macht die bittersten Erfahrung mit den Menschen, bevor sie ein Blinder (Schwarz) das Sprechen lehrt und eine Prostituierte das erste Begehren.

Das Theaterstück betrachtet sein Sujet durch die pädagogische Brille und zeigt, was aus Kindern, die ohne Liebe und Zuneigung aufwachsen, werden kann. Und aus den Produkten einer Wissenschaft, die sich analog dazu ihrer Verantwortung entzieht. Von nichts anderem spricht Frankensteins Frau Elisabeth (Christina Schmideder), wenn sie ihrem Mann sagt, er solle ihr ein Kind machen, wenn er Gott sein wolle. Von nichts anderem handelt auch das  Gespräch des Geschöpfs mit Viktors Frau kurz bevor es sie, so leid es ihm auch tut, meuchelt. Der Mord mit Ansage erfährt in der Fassung von Fabian Schwarz aber eine überraschende  Wendung, weil die Comoedia-Mundi-Mary Shelley diese Lösung nur noch alt-modisch findet.

»Ändert sich das denn nie? Die Frauen leiden und die Männer streiten«, wettert sie und reanimiert die Gemeuchelte ganz nach dem Vorbild ihres Romans mit Stromstößen. Es geht auch anders. »Wir sind von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«, entlässt uns singend das prächtig harmonierende Ensemble amüsiert und voller Gedanken in die Nacht. 

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