Nürnberger Zeitung - 11.02.2003
(löw)
Loes Snijders & Time Bandits in der Tafelhalle
Schickes Soundgewand

Das gute alte Europa. Da saßen die Chansonniers zusammen mit den Existenzialisten an den Cafétischen im Quartier Latin, tauschten Meinungen und Lebenspartner, und am Ende entstanden dicke Bücher für den philosophischen Kopf und tröstende Strophen für das gebrochene Herz: Lieder wie "Ne me quitte pas" (Verlasse mich nicht) oder "Je bois pour oublier" (Ich trinke um zu vergessen) markierten die Pole, um die sich die komplexe Gefühlswelt zwischen Olympia und Montparnasse drehen konnte.

Drei Kronzeugen
Gleich drei Kronzeugen hat sich Loes Snijders (in Nürnberg bekannt geworden durch Comoedia Mundi) in die Tafelhalle "eingeladen", um ihr Liebesleid zu klagen: Neben dem Belgier Jacques Brel ist es vor allem Boris Vian, der vieltalentierte Romancier, Musiker und Sangeskünstler, dem sie an diesem Abend huldigt. Früher war alles besser, behauptet die niederländische Sängerin gleich zu Beginn und beklagt sich über den Fortschritt ("Complainte du progrès"). Doch wenn Norbert Emminger seine Arrangements mit der Time Bandits Big Band vorführt, muss man einfach zugeben: So schlecht ist die Gegenwart auch nicht.

Überaus geschickt schneidert die gut dosierte Big Band aus Fürth ein Soundgewand für die Sängerin. Das sitzt an den richtigen Stellen und lässt auch unter verschärften Salsa-Attacken Charme und Wärme des Originals durchleuchten. Und wenn Snijders (sprachlich wie stimmlich ihrer Programmauswahl voll gewachsen) in der Nachfolge Vians den Brecht"schen Tonfall aufgreift, folgt man ihr mit dem Mut zur Verfremdung nötigenfalls auch auf die Schlachthöfe.

Nach so viel Fleisch darf am Ende die Leibesübung von Serge Gainsbourgs Welterfolg "Je t"aime moi non plus" nicht fehlen. Emminger und Snijders nehmen mit quietschender Ironie die Vorlage auseinander: Schließlich war Frankreich nicht nur die Hochburg der Liebe, sondern auch Heimstatt des Dekonstruktivismus. Verdientermaßen großer Applaus für das gute alte Europa. löw

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