Fränkische Landeszeitung - 29.04.2013
(Martina Kramer)
Mehr als eine Eulenspiegelei: Till wird erwachsen
Das Zelttheater Comoedia Mundi hat Charles de Costers "Ulenspiegel" grandios auf die Bühne gebracht.

TRAUTSKIRCHEN - Die Figur des Till Eulenspiegel steht exemplarisch für das Bild des Narren. Meist als Kinderbuchheld verstanden, wird er auf Albernheiten, Streiche und Schabernack reduziert. Doch in Wahrheit steckt viel mehr hinter diesem Charakter, der bereits im 13. Jahrhundert im niedersächsischen Volksbuch beschrieben wird. In dem 1867 entstandenen Roman „La legende d'Ulenspiegel" des Belgiers Charles de Coster gewinnt der Protagonist Shakespearisches Format. Hinter all seinen Posen versteckt sich tiefe Einsicht und der Wille, aller Ungerechtigkeit zu trotzen. Er wird zum Freiheitskämpfer.

Das Zelttheater „Comoedia Mundi", das in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert, hat diesen Stoff neu bearbeitet und interpretiert. Am Samstagabend fand die Premiere im Theaterzelt im Hofgarten des Trautskirchener Schlosses statt. In diesem Stück darf, besser muss, Till erwachsen werden. Diesen Entwicklungsprozess, vom unbedarften Clown zum renitenten Regimekritiker, hat das Ensemble unter der Regie von Herbert Fischer in starken Bildern und verdichteten Sequenzen zu einer packenden Inszenierung zusammengefasst. Kongenial dazu die Kostürne, für die Claudia Kucharski zuständig war.

Das Geschehen spielt im 16. Jahrhundert zur Zeit von Kaiser Karl V. und dessen Sohn Philipp II, in der die beiden Monarchen mit Waffengewalt die Rekatholisierung Flanderns und der Niederlande betreiben.
Auch Tills Familie wird Opfer übler Verleumdungen und landet vor der Inquisition. Vater (ausdrucksvoll: Fabian Schwarz) und Mutter (eindringlich: Loes Snijders) erleiden Folter und Tod. Till wird verbannt und durchlebt Jahre der Wanderschaft, die ihn reifer und weiser werden lassen. Doch das ist ein schmerzhafter Reifungsprozess.

Diese Reise zu sich selbst stellt das Schauspiel in teilweise atemberaubenden Szenen dar, die sich nicht nur mit den äußeren Handlungsabläufen befassen, sondern vor allem die Metaebene ansprechen. Tills Traumreisen durch innere Welten, die mit Geistererscheinungen,  göttlichen Visionen und höllischem Trommelwirbel einhergehen, beschreiben anschaulich die Erfahrungswelt des mittelalterlichen Menschen, die noch von Aberglauben, Hexenmagie und Gottesfurcht geprägt war.

Gegen Ende des Stücks erfährt der Held (mitreißend: Maximilian Berger) zusammen mit seiner geliebten Nele (wandlungsfähig: Merle Lisek) eine Art Initiation. Quasi nackt, von allem äußeren Ballast befreit, erkennen sie die Wahrheit und das Ziel ihres Strebens: Die sieben Todsünden müssen aus der Welt. Diese Szene, in der die Schauspieler fast unbekleidet, die Körper mit Leuchtfarbe bemalt, im Halbdunkel über die Bühne hu¬schen, hat etwas Magisches und markiert zugleich den Höhepunkt des Schauspiels. Es ist die Wiedergeburt Tills als gereifter Mensch.

Diese Inszenierung greift atmosphärisch das Jahrmarktsthema auf und gaukelt dem Betrachter in der Tat etwas vor. Die fünf Schauspieler (vielseitig als Musiker, Henker, Folterknecht: Robert Stephan) schlüpfen in die unterschiedlichsten Rollen und holen so die Welt auf die Bühne. Sie kreieren eine Eulenspiegelei, die das verfremdete Bild der Wirklichkeit beschwört. Dahinter offenbart sich die unverbrüchliche und zeitlose Wahrheit alles Menschlichen. Grandios.

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