Frankfurter Allgemeine Zeitung - 5.7.2013
(Jürgen Richter)
Oben und unten
Comoedia Mundi gastiert in Frankfurt

In Flandern wird der Sohn eines Kohlenträgers geboren, in Spanien kommt der Sohn des Kaisers zur Welt - der Sprecher stellt die beiden Ereignisse im Duktus eines Moritatensängers auf dieselbe Stufe. Die Kinder verkörpern unten und oben in einem historischen Drama, die Spuren ihres Lebens stellt der 1827 geborene belgische Schriftsteller Charles de Coster in seinem Roman „Thyl Ulenspiegel“ einander immer wieder gegenüber.

Welcher Geist in dem von Spanien regierten Flandern des 16. Jahrhunderts herrscht, vermittelt die Comoedia Mundi in ihrer Theaterfassung des 1867 erschienenen Buches schon zu Beginn der Aufführung mit der Verlesung eines hoheitlichen Erlasses voller Verbote, Strafen und Belohnungen, die sich durchweg auf den Schutz der römischen Religion beziehen. Der Kohlenträger, lebensfreudig und geradeheraus, kann weder den Sinn noch die Berechtigung solcher Vorschriften erkennen. Dem Monarchen, der sie erlassen hat, dient die Verteidigung himmlischer Gesetze zur Legitimation irdischer Machtansprüche.
Zeit- und Lokalkolorit beschwört das Ensemble mit wenigen Schemeln und Holzböcken, die einst auch schon bei der Theaterimprovisation auf Straßen und Plätzen gedient haben könnten. Wo die Obrigkeit mitspielt, wird ihren Vertretern ein Pult dazugestellt. Ebenso einfach gelingt die Charakterisierung der Elenden in Kitteln und Holzschuhen, derweil die Herrschenden sich in ihren Ornaten bis zu den Haarwurzeln versteifen.

Thyl, der Sohn des Kohlenträgers, ist einen Tick zu klug für seine Zeit und ein wenig zu selbstbewusst für seinen Stand. Während in der bedrohlichen Gemengelage aus Fremdherrschaft, Glaubenskriegen und Hexenverfolgung die allgegenwärtige Ausbeutung der niederen Stände die derbe Bauernfröhlichkeit vergiftet, bewahrt er sich als Kind der verweigerten Traurigkeit den Freiraum des Narren. Doch sein Schelmenabenteuer wird vom blutigen Ernst eingeholt, und auch als Ulenspiegel muss Thyl zwischen Scheiterhaufen und Folterkammer erwachsen werden.

In der Bühnenfassung von Fabian Schwarz und der Inszenierung von Herbert Fischer werden die bösen Geister des Kaisers und seines Sohnes auf Andeutungen reduziert. Die Akteure des Stückes werfen einander gekonnt den erzählerischen Ball bis zum gespenstisch mit Lichtreflexen illuminierten, von Geläut und Geschrei begleiteten Feuertod von Thyls Vater zu. Danach wechseln Gespenstervisionen mit Kreuzwegmotiven. Ulenspiegels Rache an den Verrätern und Henkern seiner Familie mischt die Melancholie der Totentänze mit revolutionärem Aufbruchspathos und verortet biblische und weltliche Ikonen in der gleichen Passion.   

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