Ein wesentlicher Teil der Garderobe für die Inszenierung von Hans Falladas »Kleiner Mann – was nun« findet sich schon vor Beginn auf der sonst kahlen Bretterbühne im königsblauen Theaterzelt am Sachsenhäuser Mainufer. Zwei hölzerne Garderobenständer, links und rechts am Rand platziert, stehen wie zwei Bäume einer Allee Spalier mit ihren Kronen aus Kappen, Mützen, Hüten, ein leuchtend roter dabei, und Zylindern. Mit den Kopfbedeckungen werden die unterschiedlichen Figuren dieses zwar eingängigen, doch auch komplexen Romans aus dem Jahr 1932 in Szene gesetzt, der hier schließlich mit nur zwei Personen bestritten wird:
mit Fabian Schwarz, dem wandlungsfreudigen Gründer des mittelfränkischen Wandertheaters, und mit Loes Snijders, seiner noch viel virtuoseren Lebensgefährtin.
Fallada erzählt die praktisch in Echtzeit verfolgte Geschichte eines »Garnichts«, wie er selbst die Titelfigur Johannes Pinneberg beschreibt, und seiner »Lämmchen« genannten Frau Emma durch die Wirren der Weltwirtschaftskrise von 1928 bis in die 30er hinein.
Sein Protagonist ist ein zwar lieber, doch auch duckmäuserischer kleiner Angestellter in der norddeutschen Provinz, der seine schwangere Freundin aus dem Arbeitermilieu heiratet und dann mit ihr, als er arbeitslos wird, sein Heil in Berlin sucht. Keineswegs aber sein Heil Hitler, denn da ist sein zwar schlichtes, aber willensstarkes und klassenbewusstes »Lämmchen« vor, auch wenn die Stelle als Verkäufer in einem Konfektionshaus am Kudamm seiner bald um den Murkel erweiterten Familie nur vorübergehend hilft, da Pinneberg den ständig steigenden Druck zur Steigerung der Verkaufsquote nicht Stand hält.
Den zahllosen Inszenierungen, die dieser Roman selbst als Musical und Revue gefunden hat, lassen Schwarz (Textfassung) und Snijders (Regie) nun ihre eigene folgen. Nicht Ducherow in Meck-Pomm, sondern Berlin macht den Anfang und lässt uns sofort an »Cabaret« denken, wenn im abgedunkelten Raum weißbehandschuhte Hände im Lichtspot den tiefschwarzen Samtvorhang teilen, um Platz für zwei zylinderbewehrte Master of Ceremonies zu machen – mit Anleihen aus Charleston, Jitterbug, Jive und was weiß ich. Berlin, Berlin, Stadt der 300 Bordelle, aber auch der wachsenden sozialen Not. Das Duo stimmt uns atmosphärisch auf Kommendes ein, bevor die Schau zurück auf Anfang geht, aufs Land nach Ducherow in Meck- Pomm. Wir merken bald: Immer wenn sie Zylinder aufsetzen, wird die Handlung moderiert, ansonsten aber waltet das von Szene zu Szene mit leichten Trommelstakkatos angetriebene hochvariante Spiel unter Hüten.
Eine köstliche Stummfilmpantomime karikiert die entflammende Liebe von »Lämmchen« und ihrem »Jungen«. Simple Kappen- und Jackenwechsel mit jeweils passenden Gesten und Stimmlagen lassen uns im Nu den hemdärmeligen Vater, die herzige Mutter, den drallen Bruder Emmas, Pinnebergs rücksichtslosen Chef samt seiner zickigen Tochter Maria erleben, bevor es nach Berlin weitergeht zur exzentrischen Mutter Pinnebergs, deren jovialen Freund Jachmann, den Arbeitskollegen und auch dem dreisten Schauspieler Schlüter im Kaufhaus, eine der Schlüsselszenen des Romans.
Schwarz und Snijders zaubern routiniert und souverän ein irres Potpourri der Verwandlungskunst auf die Bühne, ohne dass je die Übersicht verloren ginge. Loes ganz groß in einer Gesangseinlage, aber auch in der Rolle jenes Mimen Schlüter, der zu Pinnebergs Rauswurf führt, und noch größer bei ihrem mit einer schrillen Klingelkakophonie intonierten Zusammenbruch als Hochschwangere auf Wohnungssuche.
Tatsächlich fällt auf, dass der Murkel erst nach deutlich mehr als der Hälfte des hier freilich vieles aussparenden Stücks auf die Welt kommt. Mit seiner Geburt aber nimmt Pinnebergs
Abdrift auf der Rutschbahn ins Ungewisse richtig Fahrt auf und führt so weit hinab, dass wir die Rückkehr des wieder Arbeitslosen und Gebrochenen, der in einer großen Szene von der Polizei zu den Ausgestoßenen geprügelt wird, gar als einen Hauch von Glück erleben. Was da noch kommen würde, konnten weder die beiden noch Fallada wissen. Kleine Bühne, großes Spiel!