Fränkische Landeszeitung - 01.05.1997
(Sabine Dietz)
Kabinettstückchen aus Molieres Komödienwerk
Das Zelttheater ,,Comoedia Mundi" hat in seinem Trautskirchner Winterquartier eine neue Produktion erarbeitet<br />Was spielt man, wenn das Stück nicht aufgeführt werden darf? - Das Stück ,,Tartuffe" versucht, eine Antwort zu finden<br /><br />

TRAUTSKIRCHEN - ,,Ich will kein Stück spielen über ein Theater, das kein Stück hat", schnaubt Rudi (Stefano Caflisch) voll Zorn. ,,Das ist Theater über Theater, Dokumentartheater, und das ist todlangweilig." Eine heftige Auseinandersetzung tobt in dem kleinen Theaterzelt von ,,Comoedia Mundi". Die Streiterei kreist um die Frage ,,Was ist Theater?".
Um das zu thematisieren' hat sich das Wandertheater in seinem Winter-quartier auf Schloß Trautskirchen eine Fiktion erarbeitet, die auf zwei Stücken Molieres fußt: ,,Tartuffe" sollte eigentlich auf die Bühne kommen. Doch kurz vor der Premiere versagt der Verlag die Rechte für die Aufführung. Und damit ist gleichzeitig eine Situation thematisiert' die Moliere in seinem Einakter ,,Stegreifspiel von Versailles" dramatisierte:
Spielen ohne Stoff. ,,Tartuffe oder die Betrüger" (Text: Moliere' Jürgen Erdmann und Comoedia Mundi) heißt die neue Inszenierung des Zelttheaters. Die Premiere macht den Auftakt für die diesjährige Deutschland-Tournee.
Das Stück entwickelt sich entlang einer Probensituation: Ein Ensemble will ,,Tartuffe" spielen, darf nicht und sucht nach Lösungen, und zwar direkt vor den Zuschauern: Theater im Theater, Theater-Selbstreflexion ist in. Der Tag vorm Premierenabend. Das Chaos ist perfekt. ,,Wo schöpf ich Kraft aus Nichts. Wie bring ich Licht in allzu tiefe Nacht. Wie macht man aus Verlust Gewinn." Mit Pathos zelebriert Loes Snijders die programmatischen Sätze. Ratlosigkeit allenthalben. Der Streß heizt die Emotionen hoch.
Regisseur Herbert Fischers Inszenierung macht Molie res ,,Tartuffe" zu einem formalen Vehikel, das dessen mutige Auseinandersetzung mit Macht und Kirche, mit Spießertum und Scheinheiligkeit' mit Selbstgerechtigkeit und Verblendung unterläuft und nur in wohiformulierten Nebensätzen einer nervös am Hosenknie zupfenden Pascale Karamasow anklingt. Trotzdem, die Szenen, die die Truppe entwickeln, spinnen einen spannungsreichen' zudem äußerst unterhaltsamen Handlungsfaden, abgesehen von einigen Längen im ersten Teil. Das Diktat, Moliere zu spielen, ohne dessen Sprache zu verwenden, nutzen die Schauspieler, um ein breitgefächertes Potpourri ihrer Kunst zu entwickeln. Ein Sammelsurium der Kabinettstückchen aus Molie res Komödienwerk ist zu sehen: Ahja Pforte etwa als fiepsende Karikatur des Gerichtsvollziehers Loyal, Stefano Caflisch als eingebildeter Kranker, der herrlich überzeichnend mit Lamento und mit Lautmalerei jenseits jeglicher normaler Wortbildung die Hypochonderrolle mimt oder Fabian Schwarz als Scapin. Seine Prügelszene mit dem Sack ist deftige Farcenkomik in bester Tradition der Commedia dell' arte. In Mehrfachrollen zeigen die Akteure ihre Wandlungsfähigkeit und huldi-gen treffsicher Molie rischer Typisierungskunst.
Die Schlüsselszenen von ,,Tartuffe" enthält Comoedia Mundi nicht vor. Sie füllen den zweiten Teil des Theater-abends. Sobald der Zuschauer jedoch dazu neigt, sich im Geschehen ,,Tartuffes" zu verlieren, bricht Loes Snijders als fädenziehende Cecile abrupt ab und holt zurück in die Rahmen-handlung. Verfremdungseffekte, wie Szenen in drei verschiedenen Sprachen, reduzieren den Theaterkonsum des Sprachunkundigen auf die gestisch-mimische Darstellungskraft der Schauspieler. Molieres Versmaß einfach zu umgehen, ohne Reime zu sprechen und in die Sprache der Gegenwart zu transponieren, erweist sich als die denkbar simpelste Auflösung, mit der die Inszenierung aufwartet. Indes: Es birgt Witz, wenn sich Schauspieler in hochbarocker, höfischer Zeremonialtracht (die Kostüme hat Joelle Clerc entworfen) sprachlichen Unfiat des 20. Jahrhunderts an die Köpfe werfen und Tartuffe (Stefano Caflisch) nur noch ,,bad vibrations" verspürt, als ihn Hausherr Orgon (Fabian Schwarz) einen ,,miesen Hund" schimpft, einen ,,üblen Stecher, der ihn nur bescheißen wollte". Nur hängt Fischers ,,Tartuffe" im zweiten Set in der Luft. Zu zusammenhanglos steht der erste Teil der Theaterillusion gegenüber. Doch die Aussicht, daß die Teile zusammenwachsen, besteht: Vom 14. August bis 6. September gastiert Comoedia Mundi in Nürnberg, ,,und bis dahin wird sich das Stück bestimmt noch geändert haben", sagt die Schauspielerin Anja Pforte.

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