Regensburg. Zum 40-jährigen Bestehen des Theaters Comoedia Mundi hat sich das Schauspielerehepaar Loes Snijders und Fabian Schwarz den - obwohl knapp 100 Jahre alte - ungemein aktuellen und berührenden Roman von Hans Fallada „Kleiner Mann- was nun?" ausgesucht und inszeniert. Im Zelt auf dem Grieser Spitz steht ein absolut reduziertes Bühnenbild: Holzklötze und zwei hölzerne Garderobenständer mit einer Vielzahl an verschiedenen Hüten sind fast die einzigen Requisiten, die das Schauspielerehepaar braucht, um in die zahlreichen Rollen zu schlüpfen. Der großartige Zeitroman im Stil der Neuen Sachlichkeit spielt größtenteils in Berlin Ende der 20er Jahre. In der Hauptstadt gibt man sich dem kollektiven Rausch von Kokain, Absinth und Schwarzgeschäften hin. 300 Bordelle, der große UFA-Film, Expressionismus, schamlose Kunst, Freikörperkultur. Andererseits wächst das Heer von Arbeitslosen. Wohnungsnot herrscht. Kapitalismus und aufkommender Nationalsozialismus machen den Menschen das Leben schwer. Wo in den aktuellen Büchern von Volker Kutscher (verfilmt in der „Babylon-Berlin-Reihe“) diese beiden Seiten gezeigt werden, hat sich Fallada mehr auf den „Kleinen Mann" und sein Abrutschen vom Angestellten zum Arbeitslosen und damit in die graue Masse der sozial Unterprivilegierten konzentriert. „Einer von sechs Millionen, ein Garnichts, und was der Garnichts fühlt, denkt und erlebt" (Fallada). Die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche machen dem frisch verliebten Paar das Leben schwer und stellen ihre Ehe gleich zu Anfang auf eine harte Probe. Das Politische ist das Private, muss es hier heißen.
Die zu Anfangs unrealistischen und naiven Vorstellungen des jungen Paares „nie wieder Sorgen haben", denn „Sorgen sind schrecklich“ werden bald der harten Realität weichen. Ein Kampf ums Überleben in einer Stadt beginnt, wo ehrlicher Broterwerb nicht mehr ausreicht und das Aufkommen extremer linker und rechter politischer Kräfte ihr Übriges dazutut. In buffonesken Szenen zeigen die beiden Vollblutschauspieler tragisch-komödiantische Situationen des Ehepaares und unverbrüchliche Liebe der beiden zueinander.
Da kann sich Lämmchen vor lauter Gier nicht beherrschen und verspeist den kostbaren frisch erworbenen Räucherlachs Stück für Stück auf dem Heimweg und steht dann mit leerem Butterbrotpapier voller Reue vor Pinneberg.
Snijders und Schwarz können die Gefühlswelten der Haupt- und der zahlreichen Nebendarsteller durch feinste Nuancen in der Requisite (die verschiedenen Hüte) und ihrem gestischen und mimischen Stil hervorragend verkörpern. Der Zuschauer vergisst das Alter der Darsteller sowie auch ihr Geschlecht, wenn Snijders junge Frau, egozentrische Kokotte, proletarischen Vater und überheblichen Kunden spielt.
Eine verrückte Melange von Verwandlungskünsten der beiden als rücksichtsloser Chef, überheblicher Kunde jovialer, zwielichtiger Liebhaber und missgünstiger Kollege. Eine Meisterleistung ist die Klingelszene von Lämmchen, als sie auf Wohnungssuche ein immer schneller werdendes Türklingel-Crescendo mit dem Zusammenbruch auf der Treppe inszeniert.
Das Ende des Stückes ist kein rein tragisches, es bleibt offen, ob die Liebe der beiden ausreicht, die ungerechten Zeiten zu überstehen, „wo man danach beurteilt wird, wie viele Hosen einer verkaufen kann" (Emma) oder ob es noch weiter mit den Pinnebergs abwärts geht. Als Zuschauer wünscht man sich sehnlichst die Rettung für die beiden.