Auch Till Eulenspiegels Streiche werden für junge Leser und eigentlich empfindsame See¬len aller Altersgruppen gerne auf Lausbubi-Niveau gebracht. Heute aber nicht. Das fahrende Comoedia-Mundi-Ensemble hat in seiner Jubiläumssaison zum 30. Geburtstag wieder sein Zelt am Mainufer in Frankfurt aufgebaut und zeigt „Ulenspiegel" auf der Basis von Charles de Costers gleichnamigem Roman von 1867 - damals auch das Fanal für ein erst keimendes belgisches Literaturselbstbewusstsein - als herbe Angelegenheit.
Die Glaubenskonflikte des 16. Jahrhunderts toben, auf offener Bühne wird gefoltert und verbrannt, wie sonst nur in „Tosca" und (passenderweise) „Don Carlos", oder gezittert, dass solches gleich passieren könnte. Und nur zwischendurch haben die Menschen einmal ihren Spaß. Weil Ulenspiegel ein toller Bursche ist (seine Potenz, man hatte es über die Jahre aus dem Blick verloren, ist ja auch enorm).
Im Zelt ist das Maximilian Berger, eine richtig gute Besetzung, weil er der Bauernschläue ein glaubwürdiges (listiges, treudoofes, neugieriges, entsetztes) Gesicht und dem Frauenschwarm einen ansehnlichen Körper gibt. Oft ist er aber gar nicht Akteur, sondern, als Simplicius-Simplicissimus-Verwandter, Zuschauer.
Lausekalt war's zur Premiere, und drei Stunden Zeit muss das Publikum auch mitbringen. Aber dadurch können die zunächst einmal spröde aneinandergereihten Episoden ihre unangenehme, aber beträchtliche Sogwirkung entfalten: Hinein geht es in eine Welt, in der man nicht leben will und nicht leben kann und in der doch keineswegs alles unvertraut ist. Richter, denen das meiste recht, und Geistliche, denen nichts heilig ist. Denunzianten, Betrüger, Tunichtgute. Es wäre leichter, darüber zu lachen, wenn es den sympathischen Hauptfiguren nicht so furchtbar an den Kragen ginge. Der Comoedia-Mundi-„Ulenspiegel" erzählt von der Endlichkeit des Lebens.
Loes Snijders, Fabian Schwarz, Merle Lisek, Robert Stephan und Esteban Nünez (an der Technik und als König Philipp II. in sehr jungen Jahren) machen alle Rollen unter sich aus, sind Eltern, Geschwister, Nachbarn, Trunkenbolde, Ketzer und Geister. Denn Ulenspiegel sieht sich auch in der anderen Welt un-verdrossen um.
Eine Posaune kann zur Kirchturmspitze werden, und Leute unter weißen Gardinen stellen eine Bewölkung dar. Und wenn einer sagt, das hier ist Rom und der ist der Papst, dann ist das hier Rom und der ist der Papst. Wenn einer sagt, der ist tot, dann ist er aber nicht unbedingt tot. Das gibt es nur im Theater.